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Freistellen verlangt Abwägung

eine Gliederholzfigur hält zwei würfel mit Plus und Minus in den Händen

© mohd izzuan/iStock/Getty Images Plus

Dass sich Ausbilderinnen und Ausbilder auch als Prüfende in den Ausbildungsprüfungen engagieren, ist in vielen Ausbildungsbetrieben gerne gesehen. Bei Ausbildenden, die zusätzlich zur Ausbildung weitere Aufgaben im Unternehmen erfüllen, sieht es schon anders aus. Und noch einmal ein anderes Bild zeigt sich in der Höheren Berufsbildung, bei der es die ehrenamtlichen Prüferinnen und Prüfer noch schwerer haben, von ihren Unternehmen für die Tage der mündlichen Prüfungen eine Freistellung zu erhalten. Wir sprachen darüber mit Wolfgang Böhm, der alle Facetten des Themas kennt – als Ausbildungsleiter, als Prüfer bei den Technischen Betriebswirten und als Vertreter der Arbeitgeberperspektive in so manchen berufsbildungspolitischen Verfahren.

Herr Böhm, Sie sind Geschäftsführer, Sie verstehen die große Bedeutung der Höheren Berufsbildung für die Fachkräftesicherung und Sie sind selbst wie ein weiterer Kollege Ihres Unternehmens Prüfer. Geben Sie sich und dem Kollegen für die Prüfungstermine frei?

Wolfgang Böhm: Nein. Der Kollege und ich, wir wollen das in der Form auch gar nicht. Wir wollen die Dinge auseinanderhalten. Arbeitszeit ist Arbeitszeit und Ehrenamt ist Ehrenamt. Allerdings kommt uns unser Gleitzeitmodell entgegen, denn es ermöglicht uns, an den Prüfungstagen Überstunden abzubauen. Gelegentlich muss auch einmal ein Urlaubstag „geopfert“ werden.

Was ist aus Ihrer Sicht das Hauptproblem bei der Freistellung von Prüfenden?

Ich würde gar nicht von „Problem“ sprechen, sondern von Abwägungen. Zunächst einmal möchte ich aber festhalten, dass wir in Deutschland viel zu wenige Menschen haben, die sich ehrenamtlich engagieren. Es wird in der Öffentlichkeit viel zu selten und viel zu wenig gewürdigt, was Menschen in vielen Bereichen ehrenamtlich alles leisten, ob bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Jugendsport oder eben bei den Fortbildungsprüfungen der IHKs. Hier sollte dringend mehr Anerkennung und Wertschätzung vermittelt werden, um in Zukunft wieder mehr Menschen für ehrenamtliche Aufgaben zu gewinnen.

In der Sache liegt es letztlich im eigenen Ermessen jedes Unternehmens, wie es mit der Frage einer Freistellung umgeht. Bei der Entscheidung dafür oder dagegen kommen vermutlich Abwägungen wie die folgenden ins Spiel:

Will ich als Arbeitgeber mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich über unterschiedliche Ehrenämter diskutieren? Denn warum sollte es eine Freistellung für eine IHK-Prüferin oder einen IHK-Prüfer geben, aber nicht für einen Bambini-Trainer oder eine Senioren-Betreuerin? Wenn das Unternehmen für die einen die Türe öffnet, kann es sie nicht willkürlich für die anderen wieder schließen.

Und natürlich gibt es Unterschiede: Leite ich zum Beispiel ein Unternehmen mit zehn Angestellten und genau eine Person fragt die Freistellung für die IHK-Prüfungen an, dann kann ich meine Genehmigung den neun anderen noch erklären. Schließlich profitiert das Unternehmen. IHK-Prüferinnen und -Prüfer müssen fachlich immer up to date sein, sie knüpfen Kontakte zu potenziell interessanten Fachkräften und sie bringen durch den Austausch mit anderen Prüfenden wertvolle Rückmeldungen zu Themen mit, die alle in der Branche beschäftigen. Aber wie sieht es aus, wenn dann eine zweite Person für ein ganz anderes Ehrenamt ebenfalls freigestellt werden möchte? Und wenn ich nicht nur zehn Angestellte habe, sondern 100?

Eine weitere Abwägung kommt ins Spiel, wenn wir differenzierter auf die Themenvielfalt der Prüfungen schauen. Wird jemand freigestellt, dann fehlt er oder sie an dem Tag im Betrieb. In der Personalabteilung kann das wahrscheinlich vergleichsweise gut im Vorfeld organisiert werden. Nehmen wir aber einen sensiblen technischen Bereich in der Produktion und jemanden, der oder die hier eine Schlüsselposition besetzt. In so einem Fall wollen Unternehmen jedes potenzielle Risiko vermeiden. Damit meine ich: Was ist, wenn ausgerechnet an dem Tag, an dem diese Person für ihr Ehrenamt freigestellt wurde, ein kritisches Problem in der Produktion auftritt? Dann würde niemand die Ausfallzeit bezahlen, ganz abgesehen von weiteren Folgen wie Lieferverzögerungen und so weiter. Kurz gesagt: Selbstverständlich muss das Unternehmen damit umgehen können, dass eine solche Person auch mal krank wird und in den Urlaub fährt. Trotzdem wird die Geschäfts- und Produktionsleitung jede sonstige vermeidbare Abwesenheit ausschließen wollen.

Das ist wahrscheinlich auch ein wichtiger Unterschied zur Freistellung von Prüfenden in der Ausbildung?

Richtig, wenn eine Ausbilderin oder ein Ausbilder für die Tage der Abschlussprüfungen im Unternehmen fehlt, betrifft das häufig nur am Rande das Kerngeschäft. In der Höheren Berufsbildung repräsentieren die Prüfenden bewusst erfahrene Fach- und Führungskräfte. Das ist von der Wirtschaft selbst auch so gewollt, denn angehende Fachwirte, Meister und Betriebswirte realitätsnah für ihre zukünftige Berufspraxis zu prüfen, funktioniert nur mit Experten aus der Praxis. Die IHK-Organisation erfüllt mit dem Einsatz ehrenamtlicher Prüferinnen und Prüfer insofern nur das Mandat, das ihr die Mitgliedsunternehmen gegeben haben. Man kann aber auch nachvollziehen, dass es für Unternehmen sehr schwer sein kann, ausgerechnet ihre Expertinnen und Experten zwei Tage im Frühjahr und noch einmal zwei Tage im Herbst freizustellen. 

Wenn jemand als Prüferin bzw. Prüfer mit seinen Vorgesetzten über die Möglichkeiten einer Freistellung sprechen möchte, welche Empfehlung geben Sie für das Gespräch?

Ich als Geschäftsführer würde mir in jedem Falle persönliche und fachliche Gründe wünschen, warum jemand genau dieses Ehrenamt „IHK-Prüferin“ bzw. „IHK-Prüfer“ ausübt. Warum ist dieses Engagement für sie bzw. für ihn wichtig? Was bringt es ihr bzw. ihm fachlich und was genau bringt es dem Unternehmen? Wie gesagt, jedes Unternehmen entscheidet für sich, wie es die Frage einer Prüferfreistellung handhabt, und sicher gibt es von Branche zu Branche und von Fall zu Fall große Unterschiede.

Wie könnte man noch mehr Unternehmen dazu bewegen, dass sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern, sich in der Höheren Berufsbildung zu engagieren?

Wie ich zu Beginn angemerkt hatte, brauchen wir grundsätzlich mehr Anerkennung und Wertschätzung für alle Ehrenämter – und zwar auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Das Thema gehört auf die politische Agenda, es braucht eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit und es gehört mit Blick auf das prüfende Ehrenamt in der beruflichen Aus- und Weiterbildung sicher auch noch deutlicher in die Vollversammlungen der IHKs. Wir brauchen immer wieder die erklärenden und motivierenden Impulse an die Unternehmensleitungen: „Wir alle profitieren von den Vorteilen bundeseinheitlicher Berufsabschlüsse und wir alle legen großen Wert darauf, dass die Lehrgänge und Prüfungen konsequent auf die Berufspraxis ausgerichtet sind. Das funktioniert aber nur mit berufserfahrenen Dozierenden und Prüfenden aus der Praxis. Also unterstützt als Unternehmen bitte eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so gut es geht, sich hier zu engagieren!“  

Herr Böhm, vielen Dank für die Erklärungen, für Ihre klaren Standpunkte und für den deutlichen Appell!

Wissenswert

© DIHK-Bildungs-gGmbH

Wolfgang Böhm

Wolfgang Böhm

© Stefan Obermeier

Zur Person

Geschäftsführer/Ausbildungsleiter
Diehl Ausbildungs- und Qualifizierungs-GmbH,
Nürnberg

  • ehrenamtlicher Prüfer beim Abschluss „Geprüfter Technischer Betriebswirt/Geprüfte Technische Betriebswirtin“
  • Mitglied mehrerer Prüfungsausschüsse in der Ausbildung
  • Sachverständiger der Arbeitgeber für die Neuordnung der Berufsbildungsverordnung „Industriekaufmann/Industriekauffrau“

Über die Diehl Ausbildungs- und Qualifizierungs-GmbH

Die Diehl Ausbildungs- und Qualifizierungs-GmbH verantwortet in der Metropolregion Nürnberg für alle Unternehmensbereiche der DIEHL Gruppe (Diehl Stiftung & Co. KG) den gesamten Prozess der Nachwuchs- und Fachkräftekräftegewinnung sowie -qualifizierung. Dazu zählt insbesondere die Ausbildung von derzeit rund 150 Auszubildenden vor allem in Metall- und Elektroberufen einschließlich der vorausgehenden Maßnahmen des Azubi-Marketings sowie die Betreuung zahlreicher dual Studierender.