Gegen Prüfungsangst

Frau Rivera Campos, ist Prüfungsangst tatsächlich ein Thema für die Prüfenden? Müssten nicht eigentlich die Teilnehmenden ein Seminar absolvieren?
Michelle Rivera Campos: Natürlich sollten Betroffene als erstes selbst an ihrer Prüfungsangst arbeiten und die Ursachen ergründen. Leider ist das oft ohne fremde Hilfe nicht so leicht zu realisieren, ein Coaching kann hier helfen. Wenn sich die Person ihrer Prüfungsangst jedoch noch nicht gestellt hat oder die Angst wirklich erst in der Prüfungssituation auftritt, dann sind die Prüferinnen und Prüfer gefragt. Sie können zum Beispiel durch ein Seminar lernen und trainieren, wie sie auf die Prüfungsangst solcher Teilnehmenden reagieren und sie bestmöglich abbauen können.

Fangen wir einmal vorne an. Wie entsteht Prüfungsangst?
Pauschal lässt sich das nicht beantworten, außer dass Prüfungsangst nicht angeboren ist. Was genau die Ursache von Prüfungsangst ist, kann sehr individuell sein. Oft sind es negative Erfahrungen, die Prüfungsangst auslösen, zum Beispiel ein hoher Erwartungsdruck der Eltern, der Ausbildenden im Betrieb, der Arbeitskolleginnen und -kollegen, des Partners oder der Partnerin zu Hause. So etwas kann in Versagensangst umschlagen. Auch die Angst vor den Folgen eines Nichtbestehens der Prüfung können sich im Kopf so aufschaukeln, dass Blockaden entstehen.

Woran können Prüfende erkennen, das Teilnehmende unter Prüfungsangst leiden?
Die Spannweite der Symptome ist riesig und dass Teilnehmende unter einer gewissen Anspannung stehen, bedeutet ja nicht automatisch, dass sie leiden. Durch Angst stellt sich der Körper im Grunde auf eine Gefahrensituation ein: Anzeichen hierfür sind etwa eine beschleunigte Atmung, geweitete Pupillen, der berühmte Kloß im Hals – alles negative Reaktionen, die das Gefühl von Stress nochmals verstärken bis hin zu Zittern, Übelkeit und dergleichen.

Was können die Prüfenden tun, um Teilnehmenden diese Angst zu nehmen?
Da gibt es zum Glück einige Möglichkeiten. Gerne nenne ich an dieser Stelle ein paar davon: Das Erste ist sicher die nötige Sensibilität für die Körpersprache der Teilnehmenden. Dann ist es wichtig, Empathie zu signalisieren und die Situation für die Teilnehmende oder den Teilnehmenden „aufzubrechen“. Damit meine ich zum Beispiel schon das Angebot, erst einmal einen Schluck Wasser zu trinken. Oder ein Päckchen Traubenzucker an die Person zu reichen, das lenkt ab, die Anspannung löst sich. Rechtlich gesehen dürfen wir niemanden rausschicken, aber wir können anbieten „Treten Sie doch einmal ans Fenster und atmen Sie erst einmal ganz in Ruhe tief durch“. Dadurch verliert die Prüfung ihre Ausschließlichkeit im Kopf und es kann ein Gefühl von Sicherheit an Stelle der Gefahr treten.

Was empfehlen Sie noch?
Jeder Prüfungsausschuss kann ein kleines „Ritual“ festlegen, um vor jedem neuen Prüfungsgespräch den „Reset“ vom vorherigen zu schaffen. Das hilft uns dabei, jedem Teilnehmenden von Anfang an off en und freundlich zu begegnen und nicht selbst unbewusst zum Auslöser oder Verstärker von Prüfungsangst zu geraten. Eine entspannte Prüfungsatmosphäre ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass Teilnehmende ihre Ängste und Befürchtungen hinter sich lassen und befreit zeigen, was sie können.

Frau Rivera Campos, herzlichen Dank für Ihre Tipps, die den Prüfenden einen wertvollen Impuls geben, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen.