Wie entsteht Lernmotivation? Vor allem durch positive Lernerlebnisse. Wie diese im Lehrgang herbeigeführt werden können, verrät eine erfahrene Kollegin.
Lernen braucht Erleben
InterviewFrau Steinhanses, Sie verfügen über reichlich Erfahrung als IHK-Dozentin. Wenn jemand noch nicht so viel Erfahrung hat wie Sie, was wäre Ihr wichtigster Tipp für gelungenen Unterricht?
Nun, ich bin selbst ein „Kind“ der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in meinen Lehrgängen befinden sich wie ich damals auf dem zweiten Bildungsweg. Qualitativ gesehen streben sie mit ihrer Aufstiegsfortbildung einen Abschluss an, der einem Studium gleichwertig ist, jedoch einen anderen Lerntypus repräsentiert. Die duale Ausbildung zeichnet sich durch einen hohen Praxisbezug aus. Und so haben wir es in den IHK-Lehrgängen vor allem mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu tun, die auch praktisch arbeiten möchten. Mein wichtigster Tipp lautet daher: Die Teilnehmenden nicht berieseln, sondern immer wieder Erlebnisse ermöglichen. Denn Lernen braucht Erleben!
Lernerlebnisse entstehen durch bewusstes Vereinfachen. So ermöglichen wir sofortige Lernerfolge und die motivieren ungemein. Auf einmal stellt ein komplexes Thema keine Hürde mehr dar, sondern ein neues Gebiet, dass sich erkunden lässt und in dem es etwas zu entdecken gibt.
Können Sie bitte ein Beispiel geben, wie Sie das im Lehrgang konkret umsetzen?
Das ist sehr vielfältig. Ein gutes Beispiel ist, dass ich meine Teilnehmenden im Fach Montagetechnik in Gruppen einteile und jedem Team einen Bausatz aus einem Überraschungsei aushändige – zum Beispiel einen Roboter aus etwa zehn Miniteilen. Der Auftrag lautet dann: Einmal zusammenbauen, bitte! Und das ist ohne die zugehörige Anleitung gar nicht so leicht wie man vielleicht meint. An diese Aufgabe knüpfe ich eine ganze Reihe fachbezogener Lerninhalte an. Zum Beispiel beschäftigt sich eine Gruppe mit der Frage, wie die Zeit des Zusammenbauens reduziert werden kann. Eine andere Gruppe überlegt, wie es zu schaffen wäre, 100 Stück pro Stunde zusammenzubauen. Durch dieses Erleben und das daran anknüpfende selbstständige Erarbeiten von Fachinhalten lernen die Teilnehmenden gewissermaßen nebenbei. Wenn sie die Inhalte später zum Beispiel im Textband nachlesen, ist das vor allem ein Vertiefen und Wiederholen zur Verfestigung des bereits Erlernten.
Tolles Beispiel, aber wie kommt man auf so eine Idee?
Ich denke, das passiert von ganz allein, wenn man im täglichen Leben Anknüpfungspunkte oder Analogien zu seinem Fachbereich erkennt und sich dann fragt: „Könnte ich das nicht für meinen Unterricht verwenden?“.
Kosten solche Lernerlebnisse nicht zu viel Zeit? Droht nicht die Gefahr, dass Lehrende mit den vorgesehenen Inhalten nicht durchkommen?
Klare Antwort: Nein. Zuerst gilt es, sich anhand des Rahmenplans klarzumachen, was die Teilnehmenden „können“ und was sie lediglich „kennen“ sollen. Alle Inhalte auf dem Level „kennen“ behandle ich nur im Schnellverfahren und erkläre meinen Teilnehmenden, warum ich ihnen die Verantwortung übertrage, sich mit diesen Punkten selbstständig auseinanderzusetzen: Damit wir im Lehrgang Zeit für das Können und Anwenden gewinnen.
Die Befürchtung, nicht mit dem Stoff durchzukommen, stammt meiner Meinung nach von einem nicht ganz treffenden Verständnis unserer Rolle als Dozentinnen bzw. Dozenten. Denn unsere Aufgabe besteht doch zu einem wesentlichen Teil darin, komplexe Inhalte zu vereinfachen. Um Lernmotivation und geeignete Einstiege zu schaffen, eignen sich Lernerlebnisse optimal. Auf einmal stellt ein komplexes Thema keine Hürde mehr dar, sondern ein neues Gebiet, das sich erkunden lässt und in dem es etwas zu entdecken gibt. Und das motiviert!
Trotzdem gibt es doch auch eine Menge schwieriger Inhalte, die sich kaum vereinfachen lassen?
Selbstverständlich, solche „harten Nüsse“ lege ich mir gezielt auf den Anfang eines Abends oder auf den Vormittag eines Samstages, denn ich weiß, dass ich hierfür die maximale Aufnahmebereitschaft der Teilnehmenden brauche. Nachdem der erste Überblick und Einstieg geschafft sind, versuche ich aber auch hier, möglichst gleich ein passendes Lernerlebnis anzuschließen. Die Teilnehmenden erarbeiten zum Beispiel in Gruppen jeweils nur einen Aspekt des Themas und stellen diesen später im Plenum vor. So fügt jede Gruppe dem Gesamtzusammenhang ein eigenes Puzzleteil hinzu. Dieses Vorgehen entlastet auch mich als Dozentin, denn ich übernehme hierbei lediglich die Rolle der Moderatorin. Es sind die Teilnehmenden, die sich die Einzelheiten in ihrer Sprache und mit ihren Beispielen gegenseitig erklären.
Frau Steinhanses, das macht doch Lust darauf, es selbst auszuprobieren. Haben Sie abschließend noch einen Tipp für Dozentinnen und Dozenten, die noch wenig Erfahrung mit dieser Aufgabe haben?
Vielleicht, dass wir uns als Dozentinnen und Dozenten immer wieder vor Augen führen sollten, dass wir es mit jungen Erwachsenen zu tun haben, die auch so angesprochen und behandelt werden möchten. Wenn ich merke, dass die Aufmerksamkeit nachlässt und Unruhe entsteht, zum Beispiel am Samstagmittag vor der Pause, dann weiß ich, dass es vor allem am Lernsetting „Klassenzimmer, Tafel, Lehrerin“ liegt, das die Teilnehmenden eventuell an Muster ihrer Schulzeit erinnert. Es braucht in solchen Situationen dringend ein auflockerndes Moment und die Möglichkeit, durchzuatmen. Ich bemühe mich dann, ihren Ehrgeiz hervorzulocken, indem ich etwas sage, wie: „Das sind also unsere zukünftigen Führungskräfte kurz vor der Mittagspause …“ – das verstehen die meisten sofort und ist in gewisser Weise auch ein wichtiges Lernerlebnis im Lehrgang. Die Teilnehmenden sollen erleben, was es bedeutet, als Person mit dem Potenzial zur Führungskraft angesprochen zu werden, denn genau das haben sie sich mit ihrer Anmeldung zum Lehrgang und zu den Prüfungen doch vorgenommen.
Frau Steinhanses, herzlichen Dank für die praxisnahen Tipps und Erfahrungen, die Sie hier mit uns geteilt haben!
Zur Person
- Ausbildung zur Mechanikerin
- Weiterbildung zur Maschinenbautechnikerin
- Weiterbildung zur Geprüften Technischen Betriebswirtin
- Projektleiterin im Bereich Lean Management bei einem namhaften Zulieferer der Automobilindustrie
- seit über 25 Jahren IHK-Dozentin, insbesondere bei den Lehrgängen:
- „Geprüfter Industriemeister/Geprüfte Industriemeisterin – Fachrichtung Metall“ und
- „Geprüfter Industriefachwirt/Geprüfte Industriefachwirtin“ - Prüferin für die Abschlüsse:
- „Geprüfter Technischer Betriebswirt/Geprüfte Technische Betriebswirtin“
- „Geprüfter Industriemeister/Geprüfte Industriemeisterin“ (mehrere Fachrichtungen)
- „Geprüfter Industriefachwirt/Geprüfte Industriefachwirtin“