Pfadnavigation

Probleme richtig sehen... Warum sind die anderen nur so blind?

Kern_4__iStockphoto_Khaficz_Amrullah

© Khaficz_Amrullah/iStock

In den ersten drei Teilen dieser Serie haben wir einige wichtige Rahmenbedingungen für gelungene Kommunikation im Lehrgang transparent gemacht und erkannt, dass wirksame (Unterrichts-)Gespräche mindestens drei Zutaten erfordern: ausgefeilte Argumentationen, wertschätzende Beziehungen und ein souveränes Auftreten. Heute werfen wir einen Blick darauf, wie unser Gehirn mit Problemen umgeht.

Perspektivwechsel

Der Erfinder der Romanfigur Pater Brown, Gilbert K. Chesterton, hat den Umgang mit Problemen treffend formuliert: „Es ist nicht so, dass wir keine Lösung finden. Es ist so, dass wir das Problem nicht richtig sehen.“ Was brauchen wir also, um Probleme „richtig“ zu sehen? 

Aus den Erkenntnissen der Psychologie wissen wir, dass unser Gehirn jedes noch so kleine Problem durch verschiedene Filterstufen laufen lässt, um seine Relevanz besser einzuschätzen. Diese Filter lassen sich mit folgenden Fragen beschreiben:

  • Gibt es überhaupt ein Problem?
  • Und wenn ja, ist es für mich wichtig?
  • Wenn es so ist, ist das Problem grundsätzlich lösbar?
  • Und wenn ja, ist es für mich lösbar?

Erst wenn jede Frage mit einem „Ja“ beantwortet wurde, machen wir uns tatsächlich die Mühe, uns mit dem Problem näher zu beschäftigen. Zugleich ermöglichen uns diese Filterstufen, dass wir uns auf die subjektiv „wirklich“ wichtigen Dinge konzentrieren und dann auch fokussiert handeln.

Honig aus „Problemen“ ziehen

Mit diesem Wissen über die Filterfunktionen des menschlichen Gehirns können Sie Ihren Unterricht tatsächlich besser strukturieren:

Gibt es überhaupt ein Problem?


Zeigen Sie Ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit der nötigen Klarheit die grundsätzlichen unangenehmen Folgen eines Problems zum Beispiel für die Prüfung oder für eine Aufgabe im späteren Berufsleben auf.
„In der Prüfung und später im Unternehmen wird von euch erwartet, dass ihr wichtige Fachbegriffe versteht und selbst korrekt verwenden könnt.“

Ist das Problem für mich wichtig?


Erläutern Sie explizit oder erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern, inwiefern sich die grundsätzlichen Folgen des Problems so negativ auf das konkrete Handeln auswirken (können), dass das Problem für die Lernenden persönlich bedeutungsvoll wird.

„Wie würdet ihr ein Marketingkonzept beurteilen, in dem Produktdifferenzierung und Produktvariation ständig durcheinandergebracht werden?“

Ist das Problem grundsätzlich lösbar?


Wenn das Problem auch von Ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern als wichtig eingestuft wurde, konzentrieren Sie sich darauf, prinzipielle Lösungsmöglichkeiten zu finden bzw. im Lehrgang gemeinsam zu entwickeln.

„Wie sind andere mit dem Problem umgegangen?“
„Gibt es Referenzlösungen, die Ihr aus eurer Berufspraxis kennt?“
„Gibt es theoretische Ansätze zur Problemlösung?“

Kann ich das Problem lösen?

Nur weil ein Problem generell lösbar ist, bedeutet das noch lange nicht, dass jede bzw. jeder Ihrer Lehrgangsteilnehmerinnen und
-teilnehmer selbst über den Willen, die Fähigkeiten und Kompetenzen oder über die Mittel zur Problemlösung verfügt. In dieser Phase geht es für Sie darum, all die vorhandenen und möglichen Ressourcen aufzuzeigen, die es Ihren Teilnehmenden möglich machen, das Problem selbst zu lösen.

„Ihr habt eine Reihe von Gesprächstechniken kennengelernt, ihr kennt die vier Phasen der Teamarbeit, ihr kennt verschiedene Führungsstile – jetzt geht es darum, dass Ihr euer Wissen auch praktisch anwendet und genau das wollen wir in Kleingruppen jetzt einmal trainieren.“

Erst nach vier Filterstufen sind wir offen für kreatives und lösungsorientiertes Nachdenken. Kleine Probleme, wie zum Beispiel die Frage, ob man sich um einen defekten Kugelschreiber kümmert, durchlaufen diese Filterfragen in Millisekunden. Bei großen Problemen wie beispielsweise „Wie bereite ich mich optimal auf meine Prüfung vor?“ kann dieser Prozess Monate dauern.

Seien wir ehrlich

Das Verstehen und bewusste Durchlaufen dieser Problemfilter erfordern in der Praxis manchmal sehr viel Geduld und Hartnäckigkeit. Mehr noch: Geben Sie sich und Ihren Teilnehmenden immer wieder auch die Möglichkeit, zu erkennen, dass wahrgenommene Probleme manchmal auch NICHT angepackt oder erst zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet werden sollten.

Probieren Sie diese vier Filterstufen in Ihrem nächsten Unterricht einfach einmal bewusst aus. Sie werden feststellen: Das Mehr an investierter Zeit lohnt sich!

Viel Erfolg und bis zum nächsten Mal, Ihr

Unterschrift Gregor Kern

© Gregor Kern





Kern_Dr_Gregor

© privat

Über den Autor

Dr. phil. Gregor Kern

Ausbildung zum Großhandelskaufmann, danach Studium der Pädagogik einschließlich Promotion.
Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen:

  • Lernen erwachsener Menschen
  • Zusammenarbeit, Kommunikation, Führung

Dr. Kern arbeitete viele Jahre für verschiedene IHKs im Bereich der beruflichen Bildung, zuletzt als pädagogischer Leiter des IHK-Bildungszentrums in Karlsruhe. Seit 2016 ist er freiberuflicher Trainer, Berater und Coach.